Ausbildung versus Studium

Februar 2017 | @cetera

Auf Initiative der Rotary Clubs finden in Konstanz jedes Jahr Berufsorientierungstage an den Schulen statt, bei denen Praktiker aus unterschiedlichen Berufsfeldern den Schülerinnen und Schülern der höheren Klassenstufen aus erster Hand über ihren jeweiligen Beruf berichten und Fragen beantworten. Das Ziel dieses Angebots ist es, jungen Menschen bei der Berufswahl ein wenig behilflich zu sein, mit dem einen oder anderen Mythos aufzuräumen und die positiven wie auch die negativen Aspekte aus dem Berufsalltag zu vermitteln. 

Auch ich nehme seit vielen Jahren an diesen Angeboten teil und kenne daher die häufigsten Fragen, Vorurteile und auch Missverständnisse, wenn es um die „Irgendwas-mit-Medien-Berufe“ geht. Sehr auffällig ist zum Beispiel, dass die Gedanken von angehenden Abiturienten sich in den meisten Fällen ausschließlich um ein Studium drehen und die Möglichkeit einer Berufsausbildung vergessen wird. Dabei haben wir in Deutschland das vielleicht beste berufliche Ausbildungssystem der Welt. Es ist an der Zeit, die Erfahrungen dieser Gespräche einmal in einen Blogpost zu gießen.

Um das Ganze griffiger zu machen, vergleichen wir hier zwei Berufsoptionen im weiten Feld des Mediendesigns. Konkret geht es um den Vergleich des Kommunikationsdesign-Studiums mit der Mediengestalter-Ausbildung. Vorausschicken möchte ich, dass dies ein subjektiver Text aus Sicht eines Personalentscheiders einer Werbeagentur aus Konstanz ist. Sicher könnte das, was ich hier schreibe, von manchem als einseitig betrachtet werden. Dem will ich gar nicht widersprechen, denn meine Sicht hat primär mit Praxistauglichkeit zu tun. 

Seit über 15 Jahren bilden wir einerseits zum Mediengestalter aus und beschäftigen andererseits auch studierte Kommunikationsdesigner. Die wichtigste Erfahrung gleich vorneweg: Entscheidend ist der Mensch und nicht die Wahl des Ausbildungsweges. Will sagen: Ein intrinsisch motivierter junger Mensch mit hoher Leistungsbereitschaft und Lernfähigkeit kann in einer Ausbildung zu einem kompletten Designer mit breitem Fähigkeitsspektrum heranwachsen. Genauso kann ein anderer Mensch bis zum Master of Arts durchstudieren und in diesem Beruf nie einen Fuß auf den Boden bekommen, wenn er oder sie einfach den Unterschied zwischen der freien Kunst und dem nutzenorientierten Grafikdesign nicht verstehen will. Ein Studium ist also kein Garant für berufliche Erfüllung und Erfolg. Eine Ausbildung allerdings auch nicht.

Natürlich ist das Niveau der Lerninhalte, die im Rahmen eines Studiums vermittelt werden, im Vergleich zur Berufsausbildung höher. Zumindest theoretisch. Was von der Theorie am Ende in der Praxis, sprich: im Berufsalltag, ankommt, steht dann wieder auf einem anderen Blatt. Dennoch: Wer sich intensiv mit den verschiedenen Aspekten von Kommunikation und Gestaltung beschäftigen will, wird an einer exzellenten Hochschule, wie es zum Beispiel die HTWG Konstanz ist, großartige Möglichkeiten vorfinden. Für die persönliche Entwicklung und die Horizonterweiterung ist es ja auch gar nicht immer so entscheidend, ob sich ein Lerninhalt in der Praxis sofort nutzen lässt.

Doch irgendwann kommt sie, die Praxis. Dann zeigt sich, was die vergangenen drei Jahre, egal ob Studium oder Berufsausbildung, gebracht haben. Und hier haben unserer Erfahrung nach in den meisten Fällen zu Beginn die ausgelernten Azubis die Nase vorn. Egal, ob es die Erstellung korrekter Druckdateien betrifft, die Zusammenarbeit mit Lieferanten oder die Fähigkeiten der Projektleitung und Kundenbetreuung: Der Praxisvorsprung macht sich bemerkbar. 

Deshalb ist die Berufsausbildung für Menschen, die ein Faible für die Praxis haben, eine sehr gute Wahl. Hier geht es gleich „am lebenden Objekt“ zur Sache. Anfangs werden Fehler gemacht, doch aus denen lernt man. Die Lernkurve in einer Berufsausbildung zeigt anfangs steil nach oben und erreicht schnell ein Niveau, auf dem die Azubis echte Projekt- und Kundenverantwortung übernehmen können. Eine Auszubildende, die zuvor ein Jahr auf einer privaten Schule studiert, dieses Studium dann aber abgebrochen hatte, sagte einmal zu mir: „In der Ausbildung habe ich in einem Monat mehr gelernt als in einem Jahr Studium.“

Kommunikationsdesigner, die frisch aus dem Studium kommen und außer einem einzigen Praxissemester ansonsten vielleicht wenig bis keinen Kontakt zur Welt der Agenturen hatten, erleben nicht selten einen gehörigen Praxisschock. Plötzlich müssen Projekte ohne unendliches Zeitbudget umgesetzt werden. Die Welt kann sich nicht mehr so gemacht werden, wie sie einem gefällt, weil da plötzlich dieser Störfaktor ist, der Kunde genannt wird. Projektverantwortung ist ein vielköpfiges Monster mit Deadlines, Budgetdruck, internen und externen Kommunikationsnotwendigkeiten und vielfältigen Abhängigkeiten. Das viele faszinierende Know-how aus dem Studium erscheint plötzlich weit weg.  

Bei aller Begeisterung für die Praxis soll hier der Wert eines Kommunikationsdesign-Studiums nicht verschwiegen werden. Junge Menschen mit kreativem Potential erhalten während ihres Studiums konzeptionelles Rüstzeug an die Hand, das eine Tiefe hat, die eine Ausbildung nicht bieten kann. Professorinnen und Professoren lehren sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Herangehensweisen feiner zu analysieren und zu denken. Die kreativen Sensoren werden sozusagen feinjustiert; die Auflösung des Bildes, das bei der Erfassung einer Kommunikationsherausforderung entsteht, wird höher. Das sind Eigenschaften, die wir als Werbeagentur mit auf Projektverantwortung ausgerichteten Herangehensweise brauchen, denn wir wünschen uns ganzheitlich befähigte Mitarbeiter, die von der Konzeption über das Projektmanagement bis hin zur Reinzeichnung alles beherrschen. 

Theorie und Praxis zusammen ist eine für Arbeitgeber betörende Mischung. Deshalb ist es für Studis so wichtig, das Wissen aus dem Studium von Anfang an mit Praxiserfahrung zu würzen. Ein Paradebeispiel für diese Art des Studiums ist unser Mitarbeiter Benedikt Schnurr, der schon vor dem Studium eine Menge Praxiserfahrungen sammelte, im Studium nicht damit aufhörte, zum Praxissemester zu uns kam und seither bei uns als Nebenjobber angestellt war. Sein Studium endete in diesen Tagen mit einer großartigen Werkschau seines Semesters, bei dem wir ihn voller Stolz für seine hochverdient mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnete Abschlussarbeit gefeiert haben. Das nächste Kapitel seiner Story wird nun geschrieben, als Berufsanfänger ohne Praxisschock. Denn wir freuen uns, an dieser Stelle bekannt zu geben: Bene bleibt einer von uns und wird LGM ab März als fest angestellter interdisziplinärer Designer verstärken. Wir freuen uns so!

Abschließend bleibt zu festzuhalten: Beim Vergleich der Ausbildungswege auf dem Feld des Mediendesigns gibt es keine pauschale Empfehlung. Es kommt wie so oft darauf an. Der entscheidende Faktor ist und bleibt der Mensch. Und das ist sehr beruhigend. 

Ihr Jan Mittelstaedt

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